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Der Papalagi

 

Der Papalagi - aus „Die Reden des Südsee-Häuptlings Tuiavii aus Tiavea“

Erich Scheurmann 1920

 

Papalagi (sprich Papalangi) heißt: der Weiße, der Fremde, wörtlich übersetzt aber der Himmelsdurchbrecher. Der erste weiße Missionar der in Samoa landete, kam in einem Segelboot. Die Einheimischen hielten das weiße Segelboot aus der Ferne für ein Loch im Himmel, durch das der Weiße zu ihnen kam - Er durchbrach den Himmel.

  

Die vielen Dinge machen den Papalagi arm

  

Und auch daran erkennt ihr den Papalagi, dass er uns aufreden will, wir seien arm und elend und brauchen viele Hilfe und Mitleid, weil wir keine Dinge haben.

 

Lasst euch von mir berichten, ihr lieben Brüder der vielen Inseln, was dies ist, ein Ding. Die Kokosnuss ist ein Ding, der Fliegenwedel, das Lendentuch, die Muschel, der Fingerring, die Essensschale, der Kopfschmuck, alles dies sind Dinge. Es gibt Dinge, die der große Geist macht, ohne dass wir es sehen, und die uns Menschen keinerlei Mühe und Arbeit kosten, wie die Kokosnuss, die Muschel, die Banane - und es gibt Dinge, die die Menschen machen, die viele Mühe und Arbeit kosten, wie der Fingerring die Essenschale oder der Fliegenwedel. Der Alii1 meint also die Dinge, welche er selbst mit seinen Händen macht, die Menschendinge, sie fehlen uns; denn die Dinge des großen Geistes kann er doch nie meinen. Ja, wer ist reicher und wer hat mehr Dinge des großen Geistes als wir? - Werft eure Augen in die Runde, bis in die Weite, wo der Erdrand das große große blaue Gewölbe trägt. Alles ist voll der großen Dinge: der Urwald mit seinen wilden Tauben, den Kolibris und Papageien, die Lagune mit ihren Seegurken, Muscheln und Langusten und anderem Wassergetier, der Strand mit seinem hellen Gesicht und weichen Fell seines Sandes, das Große Wasser, das zornen kann wie ein Krieger und lächeln wie eine Taopou, das große blaue Gewölbe, das sich wandelt zu jeder Stunde und große Blüten trägt, die uns goldenes und silbernes Licht bringen. - Was sollen wir töricht sein und noch viele Dinge zu diesen Dingen machen, neben diesen erhabenen Dingen des großen Geistes? Wir können es ihm doch nie gleich tun, denn unser Geist ist viel zu klein und schwach gegen die Macht des großen Geistes, und auch unsere Hand ist viel zu schwach gegen seine mächtige, große Hand. Alles, was wir machen können, ist nur gering und nicht viel wert, darüber zu sprechen. Wir können unseren Arm verlängern durch eine Keule, wir können unsere hohle Hand vergrößern durch eine Tanoa2, aber noch kein Samoaner und auch kein Papalagi hat je eine Palme gemacht oder den Strunk einer Kava.

 

Der Papalagi glaubt freilich, er könne solche Dinge bereinigen, er sei stark wie der große Geist. Und tausend und tausend Hände tun darum nichts anderes vom Sonnenaufgang bis zum -untergang als Dinge bereiten. Menschendinge, deren Zweck wir nicht kennen und deren Schönheit wir nicht wissen. Und auf immer mehr und immer neue Dinge sinnst der Papalagi. Seine Hände fiebern, sein Gesicht wird grau wie Asche und sein Rücken gebogen, aber er leuchtet in Glück, wenn ihm ein neues Ding gelingt. Und allsogleich wollen alle das neue Ding haben, und sie beten es an, stellen es vor sich hin und besingen das Ding in ihrer Sprache.

 

O ihr Brüder, wenn ihr mir doch zu glauben vermöchtet: Ich bin hinter die Gedanken des Papalagi gekommen und habe seinen Willen gesehen, als beleuchte ihn die Sonne zur Mittagsstunde. Weil er des großen Geistes Dinge zertrümmert, wo er hinkommt, will er das, was er tötet, wieder lebendig machen aus eigener Kraft, und dabei macht er sich selber glauben, er selbst sei der große Geist, weil er die vielen Dinge macht.

 

Brüder, denkt euch, in nächster Stunde käme der große Sturm und risse den Urwald und seine Berge fort, mit allem Laub und Bäumen, er nähme mit sich fort alle Muscheln und alles Getier der Lagune und es gäbe nicht eine Hibiskus Blume mehr, mit der unsere Mädchen ihre Haare schmücken könnten - alles, alles, was wir sehen, verschwände und es bleibe nichts als der Sand und die Erde gliche einer flachen ausgestreckten Hand oder einem Hügel, über den glühende Lava floss - wie würden wir wehklagen nach der Palme, der Muschel, dem Urwalde, nach allem. - Wo die vielen Hütten der Papalagi stehen, welche Stellen sie Städte nennen, ist aber auch das Land so öde wie eine flache Hand, und darum auch ward der Papalagi irre und spielt den großen Geist, damit er vergessen kann, was er nicht hat. Weil er so arm ist und sein Land so traurig, greift er nach den Dingen, sammelt sie, wie der Narr welke Blätter sammelt, und überfüllt seine Hütte damit. Darum aber beneidet er auch uns und wünscht, dass auch wir arm würden wie er selber.

 

Es ist eine große Armut, wenn der Mensch viele Dinge braucht; denn er beweist damit, dass er arm ist an Dingen des großen Geistes. Der Papalagi ist arm, denn er ist besessen auf das Ding. Er kann ohne das Ding nicht mehr leben. Wenn er sich aus dem Rücken der Schildkröte ein Werkzeug macht, seine Haare zu glätten wenn er Öl aufgetragen hat, macht er noch einen Haut für das Werkzeug, für die Haut eine kleine Truhe, für die kleine Truhe noch eine große Truhe. Er tut alles in Häute und Truhen. Es gibt Truhen für Lendentücher, für Obertücher und Untertücher, für Waschtücher, Mundtücher und andere Tücher, Truhen für die Handhäute und Fußhäute, für das runde Metall und schwere Papier, für die Essensvorräte und für das heilige Buch, für alles und alles. Er macht aus Dingen, wo eines genügt, viele Dinge. Gehst du in ein europäisches Kochhaus, so siehst du so viele Essensschalen und Kochwerkzeuge, wie nie gebraucht werden. Und für jedes Essen gibt es eine andere Tanoa, für das Wasser eine andere als für die europäische Kawa, für die Kokosnuss eine andere als für die Taube.

 

Eine europäische Hütte hat so viele Dinge, dass, wenn auch jeder Mann eines Samoadorfes seine Hände und Arme beladen würde, doch nicht das ganze Dorf genügte, sie alle davonzutragen. In einer einzigen Hütte sind so viele Dinge, dass viele weiße Häuptlinge viele Männer und Frauen brauchen, die nichts tun, als diese Dinge dahin zu stellen, wohin sie gehören, und sie vom Sande zu reinigen. Und selbst die höchste Taopou3 gibt viele Zeit daran, alle ihre vielen Dinge zu zählen, zu rücken und zu reinigen.

 

Brüder, ihr wisst, ich lüge nicht und sage euch alles, wie ich es in Wahrheit erschaut, ohne dass ich hinzutue oder abnehme. So glaubt mir, dass es in Europa Menschen gibt, die sich das Feuerrohr an die eigene Stirn halten und sich töten, weil sie lieber nicht leben wollen als ohne Dinge. Denn der Papalagi berauscht auf vielfache Weise seinen Geist, und so redet er sich auch ein, er könne nicht ohne die Dinge sein, wie kein Mensch sein kann ohne ein Essen.

 

 

 

Ich habe darum auch nie in Europa eine Hütte gefunden, wo ich gut auf der Matte lagern konnte, wo nichts meine Glieder beim Ausstrecken störte. Alle Dinge sandten Blitze oder schrien laut mit dem Mund ihrer Farbe, so dass ich meine Augen nicht schließen konnte. Nie konnte ich rechte Ruhe finden, und nie sehnte ich mich mehr nach meiner Hütte in Samoa, worin keine Dinge sind als meine Matten und Schlafrolle, wo nichts zu mir kommst als der milde Passat des Meeres.

 

Wer wenig Dinge hat, nennt sich arm und trauert. Es gibt keinen Papalagi, der singt und frohe Augen macht, wen er auch nichts als seine Matte und Essensschüssel hat wie jeder von uns. Die Männer und Frauen, der weißen Welt würden in unseren Hütten wehklagen sie würden eile, Holz aus dem Wald zu holen und das Gehäuse der Schildkröte, Glas, Draht und bunte Steine und noch viel mehr, und würden vom Morgen bis zur Nacht ihre Hände bewegen, so lange, bis ihr Samoahaus sich gefüllt hätte mit kleinen und großen Dingen. Dinge, die alle leicht zerfallen, die jedes Feuer und jeder große Tropenregen zerstören kann, dass immer neue gemacht werden müssen.

 

Je mehr einer ein rechter Europäer ist, desto mehr Dinge gebraucht er. Darum ruhen die Hände des Papalagi nie im Machen von Dingen. Deshalb sind die Gesichter der Weißen oft so müde und traurig, und darum kommen auch nur die wenigsten unter ihnen dazu, die Dinge des großen Geistes zu sehen, auf dem Dorfplatz zu spielen, frohe Lieder zu dichten und zu singen oder an den Sonntagen im Lichte zu tanzen und sich vielfach ihre Glieder zu freuen, wie uns allen bestimmt ist.4 Sie müssen Dinge machen. Sie müssen ihre Dinge behüten. Die Dinge hängen sich an sie und bekriechen sie wie die kleine Sandameise. Sie begehen kalten Herzens alle Verbrechen, um zu den Dingen zu kommen. Sie bekriegen einander, nicht um der Mannes Ehre halber oder um ihre wirkliche Kraft zu messen, allein um der Dinge willen.

 

Trotzdem - sie alle wissen die große Armut ihres Lebens, sonst würde es nicht so viele Papalagi geben, die große Ehren genießen, weil sie ihr Leben mit nichts anderem zubringen, als Haare in bunte Säfte zu tauchen und damit schöne Spiegelbilder auf weiße Matten zu werfen. Sie schreiben alle schönen Gottesdinge auf, so bunt und herzlich froh, als sie es nur vermögen. Sie formen auch Menschen aus weicher Erde, ohne Lendentücher, Mädchen mit der schönen, freien Bewegung der Taopou von Matautu5 oder Männergestalten, die Keulen schwingen, den Bogen spannen oder der wilden Taube im Walde nach spähen. Menschen aus Erde, denen der Papalagi besonders große Festhütten baut, wohin die Leute von weither kommen, um ihre Heiligkeit und Schönheit zu genießen. Sie stehen davor, dicht in ihre vielen Lendentücher gehüllt, und erschauern. Ich habe den Papalagi weinen sehen vor Freude an solcher Schönheit, die er selber verloren hat.

 

Nun möchten die Weißen Menschen uns ihre Schätze bringen, damit auch wir reich sein sollen- ihre Dinge. Aber diese Dinge sind nichts als giftige Pfeile, an denen de stirbt, in dessen Brust sie hängen. „Wir müssen ihnen Bedürfnisse aufzwingen“, hörte ich einen Mann sagen, der unser Land gut kennt. Bedürfnisse - das sind Dinge. „Dann werden sie arbeitswilliger sein“, sagte der kluge Mann weiter. Und er meinte,, wir sollten auch Kräfte unserer Hände dazu geben, Dinge zu machen, Dinge für uns, in erster Linie aber für den Papalagi. Auch wir sollen müde, grau und gebeugt werden.

 

Brüder der vielen Inseln, wir müssen wach sein und helle Sinne haben, den der die Worte des Papalagi scheinen süße Bananen, aber sie sind voll heimlicher Speere, die alles Licht und alle Freude in uns töten möchten. Vergessen wir nie, dass wir nur wenige Dinge brauchen außer den Dingen des großen Geistes. Er hat uns die Augen gegeben, seine Dinge zu sehen. Und es gehört mehr als ein Menschenleben dazu, sie alle zu sehen. Und es ist nie eine größere Unwahrheit aus dem Munde des weißen Mannes gekommen als die: des großen Geistes Dinge seien ohne Nutzen und seine eigenen Dinge hätten viel Nutzen, hätten mehr Nutzen. - Ihre eigenen Dinge, die so groß sind an Zahl, die blitzen und funkeln und vielfach liebäugeln und für sich werben, haben noch keinen Papalagi schöner von Leib gemacht, seine Augen nicht leuchtender und seine Sinne nicht stärker. Also nützen seine Dinge auch nichts, und also ist das, was er sagt und uns aufdrängen will, schlechten Geistes und sein Denken mit Gift getränkt.

 

               

1  Herr

2  Eine vielbeinige Holzschale, in der das Nationalgetränk bereitet wird

3  Eine Dorfjungfrau, Mädchenkönigin

4  Die Dorfschaften Samoas kommen sehr oft zusammen, um gemeinsam zu spielen oder

   sich am Tanze zu erfreuen. Der Tanz wird von Jugend auf gepflegt. Jedes Dorf hat seine

   Lieder und seinen Dichter. Am Abend ertönt in jeder Hütte Gesang. Er ist wohltönend

   durch die vokalreiche Sprache, aber auch durch das selten feine Klangempfinden des

   Insulaners.

5  Dorf bei Upolu

 

Foto - Taweeroj Eawpanich - Unsplash